Beziehung wirkt!
Von Andrea Landschof
Das Thema Kontakt- und Beziehungsgestaltung erfährt zurzeit ein Revival. Verstärkt und beschleunigt durch die Corona Pandemie, erleben wir eine Zeit, in der digitale Formen von Kontaktgestaltung mehr Raum als je zuvor einnehmen. Parallel dazu zeigt sich eine Sehnsucht der Menschen nach dem sich Einlassen auf andere, nach In-Kontakt-Sein mit mir und dir, nach einem „in“ statt nur „on“ sein.
Menschen sind soziale und auf Dialog und Austausch ausgerichtete Wesen, die Beziehungsbedürfnisse haben und für die gemeinsame Tätigkeiten und direkte Kommunikation fundamental für ihre Entwicklung sind. Es stellt sich demnach nicht mehr die Frage, ob Beziehung wirkt oder nicht. Wenn Menschen sich an eine bedeutsame und gute Beziehung außerhalb des eigenen Familiensystems erinnern und sich dabei fragen, was konkret diese Beziehung bedeutsam und gut sein lässt und welche Beziehungsbedürfnisse sich in dieser Begegnung erfüllt haben, dann bestätigen sich in ihren Antworten oftmals die Grundannahmen, dass das Beziehungsgeschehen und die Qualität einer Begegnung, Auswirkungen auf die psychosoziale Entwicklung und das seelische Wohlbefinden, sowie auf zahlreiche Körperfunktionen haben.
Diese Bedeutung ist von zahlreichen Vertretern unterschiedlicher Forschungsrichtungen untersucht und in Studien belegt worden. Innerhalb der Transaktionsanalyse kommt es ebenfalls zu einer Wiederbelebung von beziehungsorientierten Aspekten. Die beziehungsorientierte Transaktionsanalyse ist keine neue Theorie. Schon immer standen in ihr der transaktionale Austausch und die Begegnung zwischen Menschen im Vordergrund. Ob wir biografisch auf unsere zurückliegende prozesshafte Verbundenheit und die Transaktionen mit Beziehungs- und Bindungspartnern schauen, oder auf systemische Modelle, wie die psychologische Spieltheorie und Gruppenkonzepte, auf entwickelte Antreiberdynamiken oder Muster des Fühlens- stets zeigt sich, dass die subjektive und soziale Entwicklung von Menschen in zwischenmenschlichen Beziehungen stattfindet. Im Dialog mit einem Du, werden wir zum Ich (Martin Buber). Unser Wesen und wer wir sind, entsteht und formt sich in der Beziehung zu einem Gegenüber. Nur im Kontakt mit einem „Du“ entwickeln wir in Gefühl für uns selbst und werden zu einem „Ich.“ Wir wollen „in-Beziehung-sein“ und entfalten unsere grundlegenden Potenziale in Beziehungen mit anderen Menschen.
Seit frühster Kindheit sammeln wir individuelle Bindungserfahrungen und entwickeln daraus entsprechende Beziehungskompetenzen d.h. die Fähigkeit Beziehungen zu gestalten und zu steuern. In unterschiedlichen Bindungsmustern bilden sich unsere gemachten oder eben auch nicht gemachten Beziehungserfahrungen ab. Mit den jeweiligen Lebensgrundeinstellungen wiederholen Menschen in gegenwärtigen Beziehungen ihre unbewussten Organisationsmuster und u.a. auch die Schwierigkeiten frühster und erster Beziehungserfahrungen. Lebensgrundeinstellungen sind innere Einstellungen bzw. Wertsysteme, die aufgrund gemachter Beziehungserfahrungen entwickelt werden. Sie sind als existenzielle Haltung wirksam, die ein Mensch sich selbst, anderen und der Welt gegenüber einnimmt.
Beziehungsbedürfnisse
Die Studienergebnisse von Erskine, einem amerikanischen Transaktionsanalytiker und Vertreter der beziehungsorientierten Psychotherapie, und Trautmann (1996) bekräftigen die These, dass Kontakt ein lebenswichtiges Grundbedürfnis des Menschen ist und verdeutlichen ebenfalls die Bedeutung der Beziehungsgestaltung auf Lernprozesse.
Erskine (2008) benennt acht menschliche Beziehungsbedürfnisse, die von seinen Klienten am häufigsten im Zusammenhang mit bedeutenden Beziehungen und verbesserter Lebensqualität beschrieben wurden. Erskine geht davon aus, dass Beziehungsbedürfnisse ein Leben lang bestehen, allgegenwärtig sind und in unseren aktuellen Beziehungen sichtbar werden: in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Paarbeziehung, in der Schule, etc. Beziehungsbedürfnisse sind in sich beweglich, das heißt, ein Bedürfnis kann im Vordergrund stehen, während ein anders in den Hintergrund tritt. Sie zeigen sich in unterschiedlichen Kontexten und individuellen Ausprägungen, so wie Menschen individuell ausgestattet sind.
Bei den folgenden Beschreibungen können wir aus unterschiedlichen Rollen und Praxiskontexten auf die Beziehungsbedürfnisse unseres Gegenübers und auf deren Einstimmung blicken:
- Einstimmung auf das Bedürfnis nach Sicherheit meint, eine physische und emotionale Sicherheit zu bieten und die individuelle Verletzbarkeit des Gegenübers zu beachten und zu achten. Durch äußerliches und emotional sicheres Verhalten wird dem Gegenüber vermittelt: „Du bist o.k. in dieser Beziehung. Deine Gefühle und Bedürfnisse sind in Ordnung.“
- Einstimmung auf das Bedürfnis nach Bedeutsamkeit und Wertschätzung meint, dass Gefühle, Fantasien, Gedanken und Verhaltensweisen des Gegenübers gesehen, bestätigt und respektiert werden. Dazu gehören innerpsychische Vorgänge, korrespondierende Affekte und dysfunktionale Verhaltensweisen.
- Einstimmung auf das Bedürfnis nach Schutz und Stabilisierung (Halt) meint, dass wir unserem Gegenüber mit einer offenen und aufrichtigen Haltung begegnen, in der wir beständig, verlässlich und vertrauenswürdig Schutz und Führung anbieten. Möglicherweise werden wir dabei „idealisiert“, d.h. zu einer Person, die weiser und stärker als das Gegenüber selbst ist. Mit dieser Idealisierung können wir in Resonanz gehen und sie kurzfristig als Wunsch nach Halt anerkennen.
- Einstimmung auf das Bedürfnis nach Bestätigung persönlicher Erfahrungen meint, Verständnis und Anerkennung für das Erleben und das Erlebte vom Gegenüber zu zeigen. Die Erfahrungen des Gegenübers werden gesehen, gewürdigt und bestätigt, indem ich meinen Bezugsrahmen öffne und meine persönlichen, sorgfältig ausgewählten Erfahrungen mitteile. Weil ich ähnliche Erlebnisse hatte, erlebt mein Gegenüber durch mein mich-Mitteilen, eigene Erfahrungen als bestätigt.
- Einstimmung auf das Bedürfnis nach Einmaligkeit der eigenen Person meint die Möglichkeit, dass sich mein Gegenüber in seiner Einzigartigkeit (Selbst-Definition und Identität) ausdrücken kann und dafür Annahme und Anerkennung erfährt. Mein Gegenüber zeigt sich mit seinen Ideen und Interessen, ohne Ablehnung zu erfahren. Seine Wünsche, Entscheidungen und Vorlieben werden akzeptiert, ohne lächerlich gemacht zu werden.
- Einstimmung auf das Bedürfnis nach Wirksamkeit und Einflussnahme meint, die Selbstwirksamkeit des Gegenübers zu stärken und sein Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erzeugen, zu bestätigen. Beispielsweise, indem wir uns von den Gefühlen des Gegenübers berühren lassen oder zu einer Einflussnahme hinsichtlich der Beziehung einladen.
- Einstimmung auf das Bedürfnis nach Initiative des anderen meint, dass wir die Initiative ergreifen und einen Kontakt zu unserem Gegenüber herstellen. Wir zeigen aktiv Interesse und achten auf den Unterschied zwischen dem Ausdruck eines Beziehungsbedürfnisses und dem Ausdruck passiver Verhaltensweisen seitens des Gegenübers.
- Einstimmung auf das Bedürfnis danach, Liebe auszudrücken, meint die Fähigkeit Zuwendung für jemanden auszudrücken, als auch die Fähigkeit, Dankbarkeit, Fürsorge und Zuneigung vom Gegenüber zu empfangen und anzunehmen. Sie zeigt sich beispielsweise darin, wohlwollend auf die Zuwendungsformen des Gegenübers zu reagieren.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen aufrichtige, offene menschliche Begegnungen und heilsame Beziehungserfahrungen.
Kommen Sie gut durch diese Zeiten!
Verschlagwortet mit BestätigungBeziehungsbedürfnisseBeziehungsgestaltung